Europawahl: Gründe am 26.5. wählen zu gehen!

Europa – 26. Mai 2019 – Warum soll ich eigentlich wählen gehen?

Diese Frage bekommt man als politisch engagierter Mensch häufig zu hören. Und dann bekommt man auch gleich die ganze Palette der gängigen Vorurteile ab: „Da werden doch nur die Beamten und Politiker mit überhöhten Gehältern entsorgt, die hier keiner mehr haben will. Die beschäftigen sich dann mit der Krümmung von Gurken oder mit unsinnigen Vorschriften, die uns das Leben schwer machen und den Produzenten nur Steine in den Weg legen.“ oder „Was haben wir schon von der  EU? Wir zahlen doch nur dauernd ein und müssen als wirtschaftsstärkste Nation die anderen Faulenzer mit durchschleppen. Die Griechen haben uns alleine schon Milliarden gekostet. Allein und mit der D-Mark wären wir doch viel stärker.“ Es gibt noch viel mehr solcher Anti-Europa-Klischees, die alle Eines gemeinsam haben: Sie sind sachlich falsch. Aber sie haben sich so in vielen Köpfen festgesetzt, dass sie für Viele als gesichertes Wissen gelten. Und auf genau diesen Vorurteilen reiten die verschiedenen Populisten und Europagegner nach dem Motto: „Völlig egal, ob es stimmt, denn wenn man es nur oft und laut genug wiederholt, dann glauben es schließlich genug Leute.“ Wenn dann genug Leute darauf hereinfallen und viele gar nicht wählen, dann bekommen die Europagegner schließlich eine Mehrheit, denn deren Klientel geht wählen – schon um „es denen da oben mal zu zeigen.“ Was sie zeigen wollen und wem, das bleibt eher verschwommen. Bei solchen „alternativen Fakten“ helfen auch die besten Argumente nicht mehr.

Es gibt aber immer noch viel mehr Leute, die lassen sich auf Fakten und sachliche Begründungen ein und richten ihre Entscheidungen auch danach aus. Suchen wir also nach Argumenten, um solchen unbewiesenen Parolen sachlich zu widersprechen.

Punkt 1: Angeblich werden Leute aus der nationalen Politik weggelobt und versuchen, sich durch eine übermäßige Regulierungswut eine Bedeutung zu verschaffen, die ihnen nicht zukommt. Das ist schon einmal falsch. Wie wäre es, wenn überall nationale Vorschriften und eigene Normen und Qualitätsstandards gälten? Gerade wir als Exportnation Deutschland würden extrem darunter leiden. Dann wäre in einem Land bindend vorgeschrieben, was in einem anderen Land strikt verboten wäre. Dann müsste die gleiche Maschine und das gleiche Gerät allein für Europa in 28 verschiedenen Ausfertigungen und Qualitätsstandards gefertigt werden. Fragen Sie mal einen Mittelständler, ob das wirtschaftlich möglich wäre. Auch wenn uns manche Normen und Vorschriften vielleicht skurril vorkommen mögen – in ihrer Gesamtheit ermöglichen sie den reibungslosen Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Dass Vieles auch überreguliert und in Kleinkrämerei verzettelt erscheint, liegt leider daran, dass es immer Menschen mit genug krimineller Energie gibt, die bei jedem Gesetz die Lücke suchen, um es zu unterlaufen und sich auf Kosten anderer Vorteile zu verschaffen. Ohne die immer strenger werdende Euro-Norm wäre der Abgasbetrug der Autoindustrie und die falschen Verbrauchsangaben wohl kaum aufgeflogen und die Verbraucher würden in noch größerem Maßstab als bisher betrogen – zumal nationale Regierungen dem Druck der jeweiligen Lobby oft eher nachgegeben haben (S. unsere CSU- Verkehrsminister). Die Liste ließe sich über die Agrarchemie bis hin zu Gesundheitsstandards über viele Seiten fortführen.

Punkt 2: Wir sind angeblich der Zahlmeister Europas. Auch das ist weitgehend falsch. Deutschland hat durch die Griechenlandkredite einen schönen Gewinn gemacht, weil es als starkes Land Geld zu geringen Zinsen bei der EZB und auf dem Kapitalmarkt bekommt und Griechenland als Risikokandidat deutlich höhere Zinsen bezahlen musste. Die Differenz blieb im Deutschen Staatssäckel hängen. Auch wenn wir auf den ersten Blick der größte Einzelzahler in der EU sind – wir bekommen auf vielen Wegen, nicht nur durch das blühende Exportgeschäft in die EU-Länder, viel mehr zurück. Jeder kann sich kundig machen, wie viel EU-Mittel – direkt oder indirekt über Bund und Land – in den eigenen Kreis und die eigene Gemeinde fließen. Das beginnt beim Radwegebau und endet bei der Kulturförderung noch lange nicht. Wenn man alle Einzelleistungen zusammenzählt, dann macht das eine gewaltige Summe aus.

Punkt 3: Was aber mehr zählt als alle finanziellen Aspekte und was auch mit Geld nicht zu bezahlen ist: Wir leben seit über siebzig Jahren in Frieden. Fragen Sie einmal Menschen, die aus den Staaten des ehemaligen Jugoslawien kommen, was ein Krieg im eigenen Lande anrichtet. Die wirtschaftliche Zerstörung ist ungeheuer und Menschenleben sind sowieso nie mit Geld aufzurechnen. Ich bin Jahrgang 1948, mein Großvater hatte bis zum Lebensende Granatsplitter aus dem ersten Weltkrieg im Körper, und wir können heute nach Verdun fahren und merken kaum, dass wir eine Staatsgrenze überschritten haben. Es macht sich heute niemand mehr klar, was es bedeutete, dass wir als junge Leute erstmals nur mit dem Personalausweis – und dann ganz ohne Kontrolle – ins europäische Ausland reisen konnten. Amsterdam und Paris waren auf einmal näher als Dresden, denn dorthin brauchte man Pass und Visum. Die deutsche Einheit wäre nie zu Stande gekommen – und das ohne einen Schuss – ohne eine in Europa eingebundene Bundesrepublik Deutschland.

Patriotismus ist eine gute Sache, viel besser als hemmungsloser globaler Egoismus. Aber wir sollten uns auch darüber klar sein, dass der Unterschied in Sprache, Traditionen und regionalen Eigenheiten zwischen einem Mecklenburger und einem alemannisch redenden Schwaben oder Breisgauer größer ist als zwischen dem Schwaben und dem ebenso alemannisch sprechenden Elsässer jenseits des Rheins. Der Ostfriese wird den Nachbarn aus Nordholland sicher besser verstehen als den Deutschen aus Oberbayern. Wenn wir uns darüber im Klaren sind, dass Grenzen künstlich sind und sich im Laufe der Geschichte immer wieder verändern, dann werden wir unserem nationalen und regionalen Patriotismus den rechten Stellenwert zuschreiben – er steht für Herkunft und Heimat – und dazu einen europäischen Patriotismus entwickeln – eine gesunden und begründeten Stolz auf das trotz aller Unterschiede Erreichte und  unser Zusammenleben in Frieden.

Wer auf die populistischen Parolen hereinfällt und gar nicht oder solche europafeindlichen Parteien wählt, der schadet dem Frieden und der Freiheit. Auch wenn die Populisten heute in verschiedenen Ländern zusammenarbeiten, so ist doch abzusehen, dass dies nur eine Zweckgemeinschaft zu Schwächung Europas ist. Sobald sie irgendwo eine Mehrheit haben, werden schnell wieder alte Feindbilder neu belebt oder neue Feindbilder aufgebaut. Man sieht es an Ungarn und Polen und zunehmend auch an Italien, dass solche isolationistischen Tendenzen dem Land auf Dauer wenig nützen. Dann muss ein Sündenbock gefunden werden, der an der ganzen Misere schuld ist, und von da bis zu Gewaltausbrüchen ist es nicht mehr weit.  Wer diese Gruppierungen wählt und für eine Zersplitterung Europas in Nationalstaaten stimmt, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass er Trump und Putin und auch China zuarbeitet. Die absteigenden Großmächte USA und Russland und die aufsteigende Großmacht China sind mehr an einem schwachen und in Kleinstaaterei zersplitterten Europa interessiert, denn das ist wirtschaftlich und politisch keine Konkurrenz. China versucht es mit dem Geldbeutel – s. Italien und die Balkanstaaten, Trump mit Grobheit und Drohungen und Putin mit List und Falschinformationen – aber alle wollen ein starkes und einiges Europa aus egoistischen Gründen verhindern.

Dagegen hilft nur Eines: Leute geht wählen und wählt Parteien, die für ein starkes und gerechtes Europa stehen. Wir als Sozialdemokraten stehen für ein Europa, in dem für alle gleiche Lohn- und Sozialstandards gelten. Das ist das Gegenteil eines wirtschaftsliberalen Europa, in dem mit den Grenzen auch die Werte wegfallen und nur der Egoismus grenzenlos ist. Viele LKW-Fahrer oder Paketauslieferer würden gemeinsame Standards begrüßen. Wir stehen für eine starkes Europa, das trotzdem alles versucht, Konflikte friedlich zu lösen statt sie zu schüren. Das ist in der EU möglich, warum sollte es nicht außerhalb auch möglich sein.

Wir stehen für eine einheitliche Außenpolitik, denn nur wenn wir geschlossen auftreten, haben wir Gewicht in der Welt.

Wir stehen für ein einheitliches Recht – auch und gerade in Steuerfragen. Nur so können wir verhindern, dass sich multinationale Konzerne aus ihrer Steuerpflicht schleichen. Gewinne müssen da versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden, auch und gerade im weltweiten Datengeschäft.

Das sind viele Gründe, die dafür sprechen, am 26. Mai zu wählen und wer an diesem Tag etwas Anderes vorhat: Es gibt auch die Briefwahl.

 

Klaus Schmidt