Ein Kommentar von Dr. Klaus Schmidt!
Zwei Drittel der an der Abstimmung beteiligten SPD-Mitglieder haben für den Koalitionsvertrag gestimmt, aber was wichtiger ist, es waren über 51 % der Mitglieder insgesamt. D.h., dass sowohl die Gegner wie auch diejenigen, die sich aus mehr oder weniger guten Gründen nicht entscheiden konnten oder wollten, zusammen keine Mehrheit gegen den Koalitionsvertrag erreicht haben. Ob es uns jetzt persönlich passt oder nicht – und es gibt sicher eine Menge Gründe zur Kritik – wir sollten als Demokraten diese Mehrheitsentscheidung anerkennen.
Aber wir sollten auch die Regierungsarbeit als Basis immer kritisch begleiten und uns im Zweifelsfall auch zu Wort melden. Was uns auf keinen Fall mehr passieren darf: Wir dürfen nicht zulassen, dass „Die kleine Raute Nimmersatt“ abwartetet, bis die sozialdemokratischen Verhandlungsergebnisse aus dem Koalitionsvertrag Erfolge bringen und dann diese Erfolge schamlos für sich vereinnahmt. Erste Ansätze dazu hat Frau Merkel ja schon vor dem Mitgliederentscheid auf dem CDU-Parteitag gezeigt, wo sie familienpolitische Verbesserungen, die die SPD in das Programm eingebracht hat, als Erfolg einer familienfreundlichen CDU-Politik bezeichnete. Hier hätte ich einen deutlichen Widerspruch von unserer sonst so wortgewaltigen Fraktionsvorsitzenden erwartet, was sicher auch das Ergebnis der Mitgliederbefragung in ihrem Sinne verbessert hätte.
Wir, d.h. die Genossinnen und Genossen vor Ort, sind jetzt gefragt, um jeden Beschluss des Bundestages, der auf unseren Beitrag im Koalitionsvertrag zurück geht, auch lautstark für uns zu reklamieren und jede Form der „Produktpiraterie“ durch die Union deutlich und öffentlich zurückzuweisen.
Wir haben hier in Hessen im Oktober Landtagswahlen vor uns, und wenn wir das schwarz-grüne Bündnis los werden wollen, das Politik zu Lasten der Bürger macht – egal ob bei Bildung, sozialem Wohnungsbau, Infrastruktur auf dem Lande oder den kommunalen Finanzen und vielen anderen Feldern – dann müssen wir deutlich machen, was sozialdemokratische Politik im Land, aber auch im Bund bewirken kann und soll. Hier liegt nach meiner Meinung auch der Hauptschwachpunkt unserer bisherigen Politik, dass wir die durchaus vorzeigbaren Erfolge auch der letzten großen Koalition nicht deutlich machen konnten oder wollten. Dabei muss sich auch unsere Parteispitze incl. Fraktion und Kabinettsmitglieder an die eigene Nase fassen und ein klares sozialdemokratisches Profil auch in einer großen Koalition vermitteln.
Wenn sie von Erneuerung und Neuaufstellung reden, dann müssen diese Fehler der Vergangenheit vermieden werden und entsprechende schmerzhafte Konsequenzen – auch auf personeller Ebene – gezogen werden. Wenn die Koalition aus irgendwelchen Gründen nach der Halbzeitbilanz (eine sehr gute Idee) nicht fortgesetzt werden kann, dann geht die SPD gestärkt in eventuelle Neuwahlen. Bisher hat sie es eher geschafft, viele enttäuschte Wähler in das Lager der Populisten und Wutbürger zu treiben. Auch da müssen wir gegensteuern.
Wir wollen hier nicht auf den harten Kern der Rechtsradikalen und Fanatiker eingehen, denn mit denen lohnt keine Diskussion. Das zeigen die Kommentare, die schon kurz nach Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses im Netz auftauchten. Hier ist jede Argumentation für die Katz, denn diese Leute leben in ihren eigenen Echoblasen und Verschwörungstheorien, die schon teilweise entfernt von jeder Vernunft nur noch von Hass, Wut und Verblendung geprägt sind. Die wissen nur noch, was sie alles kaputt machen wollen und denken in Kategorien der Lynchjustiz, ohne überhaupt genau formulieren zu können, was sie statt dessen wollen.
Es ist unsere Aufgabe als soziale Demokraten, alle Menschen, die nur aus Enttäuschung auf diese Sprüche und Parolen hereingefallen sind, davon zu überzeugen, dass komplizierte Fragen keine einfachen Antworten haben und demokratische Prozesse zwar oft schwerfälliger, aber dafür auf Dauer wirksamer sind.
Gleichzeitig müssen wir aber klar zeigen, wofür wir stehen und wo wir uns auch gegen diejenigen abgrenzen, die sich in unseren demokratischen Staat nicht integrieren wollen oder seine Strukturen nur dafür nutzen, ihn abzuschaffen. Das gilt zum Einen für die Parallelgesellschaften, die sich mangels Integration aus Fremden gebildet haben, vor allem weil in der Vergangenheit konservative Regierungen die Augen vor der mangelnden Integration – auch der „Deutschen“ aus dem zusammengebrochenen Ostblock – verschlossen haben und darum ein Einwanderungsgesetz, das Zuzug und Integration gleichermaßen regelt, verhindert haben. Wir sind auf Grund unserer demographischen Situation langfristig auf Zuzug angewiesen, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass dies nicht ungeregelt und chaotisch erfolgt.
Die Integrationsbemühungen müssen aber auch im eigenen Lande laufen, denn die soziale Disintegration und Zerstückelung beschleunigt sich mit dem ungebremsten neoliberalen Turbokapitalismus und der daraus immer weiter aufklaffenden sozialen Schere stark. Es wird Zeit, dass wir gerade als Sozialdemokraten darauf hinweisen, dass Steuerflüchtlinge unser Land jedes Jahr mindestens fünfmal so viel kosten wie die Flüchtlinge, egal ob Wirtschafts- oder Kriegsflüchtlinge, die seit 2015 in unser Land kamen. Dabei sind die multinationalen Konzerne, die bei uns Gewinne machen, sich aber um die Steuerzahlungen drücken, nicht berücksichtigt, denn das sind ganz andere Größenordnungen. Die auch und gerade in der SPD beginnende Diskussion um Hartz-IV – danke Herr Spahn, dass sie die Gegenposition so deutlich gemacht haben – gibt uns die Chance, uns als soziale und vor allem sozialdemokratische Partei zu profilieren. Dabei sollten wir uns nicht von denen jagen lassen, die schreien „Wir sind das Volk“ und die in Wirklichkeit nur eine lautstarke Minderheit darstellen, die das Volk wie schon einmal, als biologische Einheit definieren wollen und sich anmaßen, zu bestimmen, wer dazugehört. Wir müssen für die Mehrheit der Bevölkerung, unabhängig von Einkommen, Alter, Herkunft und Religion eine Zukunftsperspektive bieten, wenn wir wieder Mehrheiten erringen wollen. Dafür müssen wir auch deutlich machen, dass eben nicht die Abschottung und der Rückzug auf nationale Prioritäten sondern nur ein geeintes und starkes Europa Chancen in einer Welt hat, in der multinationale Konzerne und aufstrebende Weltmächte an die Macht drängen.
Wir haben also für die Zukunft auch und gerade als sozialdemokratische Basis eine Fülle von Aufgaben, wenn wir wieder Mehrheiten in unserem Lande erringen wollen und die Demokratie nicht zur Beute der Populisten oder der hemmungslosen Egoisten werden lassen, die gerne die Rechte der Freiheit für sich in Anspruch nehmen, aber nicht auch die Pflichten gegenüber der Gemeinschaft erfüllen wollen. Die sind auf Dauer zerstörerischer für eine freiheitliches und demokratisches Gemeinwesen als alle Terroristen es jemals sein können.
Es gibt viel zu tun, packen wir es an. Glück auf.
Klaus Schmidt